Rede von Albert Leyhe anäßlich des vermeintlichen 200. Jubiläumjahres
des Lütersheimer Schützenvereins im Jahre 1911
Bis in unser Jahrhundert gehörte es unter anderem zu den Aufgaben des Lehrers in einem Dorf besonders, wenn er eine einklassige Schule hatte, bei festlichen Anlässen eine Rede zu halten. So fand Frau Jedicke aus Bad Arolsen, Enkelin von Albert Leyhe, im Nachlass ihres Vaters ein paar handgeschriebene Aufzeichnungen in alten Heften ihres Großvaters, die sich als Entwürfe für Ansprachen in Lütersheim herausstellten.
Albert Friedrich Wilhelm Leyhe (1875-1945) war von 1900 bis 1937 Lehrer in Lütersheim und wegen des Lehrermangels im Zweiten Weltkrieg noch einmal von 1940 bis 1945, kurz vor seinem Tod. Seine erste überlieferte Rede stammt von 1911, dem vermeintlichen 200. Jubiläumsjahr des Lütersheimer Schützenvereins, da 1711 als Gründungsjahr angenommen worden war Er hat nach neueren Erkenntnissen also 11 Jahre zu früh gesprochen. Leicht gekürzt sei sie hier wörtlich wiedergegeben:
,,Werte Schützenbrüder!
Geehrte Festversammlung!
Frühlingszeit, schöne Zeit,
die uns Gott, der Herr, verleiht,
weckt die Blümlein aus der Erde,
Gras und Kräuter für die Herde,
lässt die jungen Lämmer springen,
lässt die lieben Vöglein singen.
Ja, Freude blüht auf allen Wegen, da regt es sich denn im Menschen, teilzunehmen an der erwachenden Natur, hinauszuwandern und Gottes Allmacht, Weisheit und Liebe kennenzulernen. Liebe zur erwachenden Natur war es wohl auch, welche unsere Vorfahren vor vielen, vielen hundert Jahren veranlasste, hinauszuwandern und in Gottes freier Natur Frühlingsfeste zu feiern. Am Frühlingsfest unserer heidnischen Vorfahren stellte ein Knabe den Frühlingsgott dar. Er wurde mit Kränzen geschmückt und zog an der Spitze bewaffneter Jünglinge in den Wald. Hier wurden zum Schein Kämpfe aufgeführt, um den Kampf des Frühlings gegen den Winter darzustellen.
Nun schmückten sich alle mit Birkenzweigen und zogen unter Jubel heim. Auf dem Festplatz wurde eine glattgeschälte Birke mit grüner Krone gepflanzt und mit Spiel, Gesang und Tanz der Tag verbracht.
Aus diesen Frühlingsfesten gingen im 14. Jahrhundert die Schützenfeste hervor Die Schützengesellschaften oder Schützenkompanien regierten sich nach Gesetzen, und es soll in früherer Zeit streng danach verfahren worden sein. Nach der Erfindung des Schießpulvers schoss man mit Pulver, während man vorher Pfeil und Bogen benutzte. Um Treffsicherheit im Schießen zu erlangen, mußte man fleißig üben. Das geschah in den Schützengesellschaften. In Kriegszeiten haben die Schützenbrüder wohl auch mitgewirkt; um Haus und Hof vor Feinden zu schützen. Wann die Schützenkompanie in Lütersheim gegründet ist, läßt sich nicht genau nachweisen, da ältere Schriften, die darüber Auskunft geben, wahrscheinlich abhanden gekommen sind. Die ersten Aufzeichnungen nennen das Jahr 1711, sodaß wir darnachgehend dieses Jahr das 200jährige Bestehen der Schützenkompanie feiern. Ein Wort sagt: Was du ererbt von deinen Vätern, das halte fest. Ja, dieses Festhalten am Alten hat wohl viel mit dazu beigetragen, das seit 200 Jahren gefeierte Schützenfest auch noch länger nicht untergehen zu lassen. Die Schützenfeste sind wahre Volksfeste, so auch hier in Lütersheim. Und warum soll man dem Landmann, der im Schweiße seines Angesichts der Scholle den Ertrag abringt, nicht auch einmal ein fröhliches Fest gönnen, wo der Mensch dem Menschen näher tritt, wo alte Freundschaften erneuert, Jugenderinnerungen aufgefrischt und neue Freundschaften geknüpft werden.
Zum Fortbestand der Schützenfeste hat wohl auch das überlieferte Kleinod beigetragen. Jeder Schützenkönig stiftet zum Andenken an die Ehre, Schützenkönig gewesen zu sein, ein Kleinod. Diese sind miteinander verbunden und werden im Festzug von dem jeweiligen Schützenkönig getragen.
Es wird interessieren, einiges aus dem Inhalt der Schilder zu erfahren. Ein Schild von 1748: ,,Dieses schenkt Verwalter Müller der Schützenbruderschaft, dieweil sie mich zum Leutnant gemacht". Auch auswärtige Könige hatte die Gesellschaft: ,,Conduktor Sandrock, Landau, verehrt dieses der Schützenbruderschaft, dieweil sie mich zum Könige gemacht, 1750". Auch der Humor kommt in verschiedenen Schildern zum Ausdruck, 1755: ,,Ein König unter großen Schützen, ein König der Gemeinde Lützen“ „Vom Lande arm, vom Gelde wenig, seht Wunder, Kinder, was ein König. Kronenwirt J Berge, Arolsen". Die Liebe zum Ackerbau merken wir auf vielen Schildern, auf denen Pflug mit Pferd oder auch Leiterwagen abgebildet sind: ,,Mein Herz liebt die Pferde", ,,Was der Mensch sät, das wird er ernten, Ph. Tillenius 1822".
Ein Jäger, Christian Billerbick, schreibt auf seinem Schilde 1758: ,,Die Kugel steckt viel besser in der Scheibe als im Leibe". Das Geschäft des Sagemüllers ist treffend durch eine Säge mit Zubehör, das eines Schreiners durch Hobel, Winkel und Zirkel dargestellt. Aus den vielen will ich noch zwei erwähnen. Sie erinnern an eine traurige Zeit:
,,1837 Karl Dohm, Richter, Adjudant und Schützenkönig bin ich, doch arm, und hab sehr wenig, denn durch den Hagelschlag im vergangnen Jahr mir meine ganze Erndt verwüstet war, drum nehmt dies wenige und denkt noch oft daran, daß im Jahre 1837 ich war ein armer Mann". Und das zweite: ,,Ohne Sand und ohne Grand regiert als König ich dies Land, das nun auch noch am Besten fehlt, denn's Geld hat mich noch nie gequält, so nehmt dies wenige gütig an, bis ich werd' ein reicher Mann, 1845 Chr. Döhne". Wie einfach sind auf anderen Schildern nur die Namen graviert und doch, wenn sie erzählen könnten, würden sie uns nicht auch entgegenhalten Menschenlust und Menschenleid?
So rein wie das Silber der Schilder möge der Sinn der Schützenbrüder sein. So wie die Schilder durch feste Haken zusammenhängen und ein festes Ganzes bilden, so mögen auch die Schützenbrüder sich als echte Brüder bewähren und Nächstenliebe, Eintracht und Treue pflegen. Dann wird die Gesellschaft fortbestehen bis in ferne Zeiten, ja, sie möge wachsen, blühen und gedeihen!
Möge Euch Lütersheimern das Schützenfest ein Stück Heimat sein, möge es mit dazu beitragen, wenn Ihr hinauszieht in die Welt, vielleicht ins Westfalen- oder Rheinland, daß Ihr Euer Heimatdörflein mit seinen alten Bräuchen und Sitten in Erinnerung behaltet und Euch anregen, stets mit Freuden wieder heimzukehren an den Ort, da einst Eure Wiege stand. Wir leben heute mit S.D. unserm Fürsten in einem geeinten deutschen Vaterlande, an dessen Spitze der erhabene Kaiser Wilhelm II. steht. Ich denke, wir können unserm Feste erst die rechte Weihe geben, indem wir S.M. dem Kaiser und S.D. dem Fürsten fernerhin
unverbrüchliche Treue geloben. Hoch Ja, bestätigt die Worte, die ich vorhin in einem Kranze las: